EXPERTENINTERVIEW EXPERTENTELEFON \"Diabetes\" am 11.11.10
Viele Betroffene merken oft lange nichts von ihrem Diabetes. Warum ist das so?
Im Anfangsstadium verursacht der erhöhte Blutzucker keine Beschwerden. Leider wird er oftmals erst diagnostiziert, wenn er bereits spürbare Schäden im Körper hinterlassen hat. Dazu zählen Nervenschäden, die sich beispielsweise durch ein Kribbeln, Brennen oder durch Schmerzen in Füßen oder Händen bemerkbar machen. Auch ein Taubheitsgefühl oder ein beeinträchtigtes Temperaturempfinden in den Füßen oder Händen signalisieren, dass der Diabetes bereits die Nerven angegriffen hat.
Welcher Personenkreis sollte sich vorsorglich untersuchen lassen, auch wenn noch keine Diabetes-Symptome auftreten?
Ein erhöhtes Risiko für einen Typ-2-Diabetes haben vor allem Personen, die zu bauchbetontem Übergewicht neigen, einen erhöhten Blutdruck und/oder erhöhte Blutfette haben oder unter Hyperurikämie, der Gicht, leiden. Diese Faktoren deuten auf eine komplexe Stoffwechselstörung hin, die auch einen Diabetes begünstigt. Regelmäßige Blutzuckeruntersuchungen sind außerdem anzuraten, wenn der Diabetes in der Familie gehäuft auftritt, wenn also von einer genetischen Veranlagung auszugehen ist.
An welchen ersten Warnzeichen lässt sich ein beginnender Diabetes erkennen?
Typische Warnsignale sind eine erhöhte Urinausscheidung, starker Durst und Gewichtsabnahme.
Ist schon die Vorstufe eines Diabetes für den Körper gefährlich?
Wenn nicht rechtzeitig durch einen gesünderen Lebensstil gegengesteuert wird, entwickelt sich aus der Vorstufe ein manifester Diabetes. Und schon im Vorstadium des Diabetes können zum Beispiel durch Blutzuckerspitzen nach dem Essen oder durch leicht erhöhte Blutzuckerwerte Nerven und Blutgefäße geschädigt werden.
Lässt sich ein beginnender Diabetes wieder stoppen und falls ja, wie?
Im Anfangsstadium lässt sich der Typ-2-Diabetes noch sehr gut durch den Lebensstil beeinflussen. Mit einer gesunden Ernährung, dem Meiden von Übergewicht und regelmäßiger Bewegung kann der Blutzuckerspiegel in diesem Stadium oftmals wieder normalisiert werden. Denn der Typ-2-Diabetes, von dem 90 % aller Zuckerkranken betroffen sind, wird auf der Basis einer genetischen Veranlagung durch Übergewicht, Fehlernährung und Bewegungsmangel ausgelöst. Im späteren Stadium des Typ-2-Diabetes versiegt die Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse. Dann ist er - wie auch der Typ-1-Diabetes - durch den Lebensstil nicht mehr zu stoppen.
Stimmt es, dass Diabetiker häufiger unter einem Vitaminmangel leiden?
Das trifft vor allem für das Vitamin B1, das Thiamin, zu. Studien haben gezeigt, dass Diabetiker häufig unter einem extremen Thiamin-Mangel leiden, weil sie das Vitamin vermehrt über den Urin ausscheiden. Durch den erhöhten Blutzucker ist die Niere durchlässiger für Thiamin. Es kann dadurch in großen Mengen verloren gehen.
Welche Auswirkungen kann das auf den Verlauf des Diabetes haben?
Thiamin ist gerade für den Zucker- und Nervenstoffwechsel sehr wichtig. Ein Mangel kann daher Nervenstörungen wie die Neuropathie verursachen oder verschlimmern.
Wie man heute weiß, verstärkt ein Thiamin-Mangel auch die schädlichen Auswirkungen des erhöhten Blutzuckers auf die Blutgefäße. Daher ist davon auszugehen, dass er nicht nur Neuropathien, sondern auch Gefäßerkrankungen und daraus resultierende Schäden an Organen wie Augen und Nieren fördert.
Können Betroffene ihrem Körper Thiamin über eine besonders vitaminreiche Ernährung zuführen?
Eine vitaminreiche Ernährung ist natürlich sehr wichtig. Aber sie kann das Vitamin in der Regel nicht in den Mengen bereitstellen, die notwendig wären, um die diabetesbedingten Verluste über den Urin auszugleichen. Eine Ergänzung des Vitamins ist hier erforderlich.
Muss bei der Wahl eines Präparats etwas beachtet werden?
Das herkömmliche Thiamin kann nur in sehr begrenzten Mengen vom Darm ins Blut geschleust werden. Daher ist bei Diabetikern die Thiamin-Vorstufe Benfotiamin von Vorteil: Sie ist fettlöslich und gelangt dadurch wesentlich besser in den Körper. Diese bessere Bioverfügbarkeit ist eine wichtige Voraussetzung, um einen Thiamin-Mangel zu beheben und um therapeutische Effekte zu erzielen. Studien zeigten, dass Benfotiamin die Nerven und Blutgefäße von Diabetikern vor den schädlichen Auswirkungen des erhöhten Blutzuckers schützt und Neuropathie-Symptome wie Missempfindungen und Schmerzen in den Füßen lindert.
Müssen sich Diabetiker diese schützende Vitamin-Vorstufe vom Arzt verschreiben lassen oder gibt es sie auch ohne Rezept in der Apotheke?
Da es sich beim Benfotiamin um einen sehr gut verträglichen, vitaminähnlichen Wirkstoff handelt, der mit allen anderen Diabetes- und Herz-Kreislauf-Medikamenten kombiniert werden kann, muss er nicht vom Arzt verschrieben werden. Er ist rezeptfrei in Apotheken erhältlich.
Über den Autor:
Prof. Dr. med. Hilmar Stracke ist Diabetologe an der Medizinischen Klinik und Poliklinik III der Universität Gießen und Marburg
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